Arztpraxis kaufen – Kassensitz sichern, Kosten kalkulieren, Übergabe steuern

Eine Arztpraxis kaufen gehört zu den anspruchsvollsten Formen der Unternehmensnachfolge im Gesundheitswesen.
Der Erwerb verbindet medizinische Verantwortung mit komplexem Zulassungs-, Bewertungs- und Finanzierungsrecht.
Wer erfolgreich eine Praxisübernahme plant, muss Kassensitz, Investition von Kapital und Übergabestruktur präzise aufeinander abstimmen.
Dieser Leitfaden erklärt Schritt für Schritt, wie Ärztinnen, Ärzte und Investoren rechtssicher und strategisch in eine bestehende Praxis einsteigen.


1. Marktsituation und Nachfolge im Gesundheitswesen

Die Nachfrage nach medizinischen Nachfolgern ist hoch: Laut KBV wird bis 2030 jede vierte Praxis in Deutschland zur Übergabe stehen.
Eine Arztpraxis kaufen bietet daher attraktive Chancen – insbesondere in ländlichen Regionen mit Unterversorgung oder in Fachgebieten mit stabilem Patientenstamm.

Vorteile:

  • vorhandene Infrastruktur und Personal,

  • eingespielte Abläufe und feste Patienten,

  • sofortige Einnahmen durch laufende Behandlungen,

  • meist geringeres Risiko als Neugründung.

Doch Voraussetzung ist ein rechtssicherer Kassensitz – die zentrale Eintrittskarte in die vertragsärztliche Versorgung.


2. Kassensitz und KV-Zulassung

Wer eine Arztpraxis kaufen möchte, benötigt eine KV-Zulassung (Kassenärztliche Vereinigung).
Die Zulassung wird an einen sogenannten Kassensitz gebunden – dieser ist personengebunden, aber übertragbar.

Verfahren der Sitzübertragung (§ 103 Abs. 4 SGB V):

  1. Antrag auf Nachbesetzung beim Zulassungsausschuss,

  2. Veröffentlichung der Ausschreibung im KV-Blatt,

  3. Auswahlverfahren nach Eignung und Kontinuität,

  4. Zustimmung der KV zum Kaufvertrag.

Wichtig: Ohne Zustimmung des Zulassungsausschusses ist der Kaufvertrag schwebend unwirksam.
Die Praxisübernahme darf erst nach Erteilung der neuen Zulassung vollzogen werden.


3. Unternehmensbewertung einer Arztpraxis

Die Unternehmensbewertung erfolgt meist nach dem modifizierten Ertragswertverfahren, ergänzt um Substanz- und Goodwill-Komponenten.

Bewertungsbestandteile:

  • Umsatz und Gewinn der letzten drei Jahre,

  • Patientenstamm und Frequenz,

  • Mietverhältnis und Standort,

  • Geräte- und EDV-Ausstattung,

  • Ruf und Spezialisierung.

Der Goodwill (ideeller Wert) ist meist der größte Faktor. Er spiegelt Patientenbindung, Personalqualität und Reputation wider.
Ein Bewertungsgutachten durch spezialisierte Berater (z. B. apoBank, IHK, KZBV) ist empfehlenswert.


4. Investition von Kapital & Finanzierung

Die Investition von Kapital für eine Praxisübernahme liegt je nach Fachrichtung zwischen 150.000 € und 800.000 €.

Finanzierungsoptionen:

  • KfW-Programme (ERP-Gründerkredit 380, Startgeld 067),

  • Ärztefinanzierungen über apoBank oder Deutsche Ärzte Finanz,

  • Verkäuferdarlehen (§ 488 BGB),

  • Beteiligung über Ärztegesellschaften oder MVZs.

Ein solider Finanzplan berücksichtigt Modernisierung, Praxissoftware, Versicherungen und Liquiditätsreserve für mindestens sechs Monate.


5. Rechtliche Grundlagen und Verträge

Bei einer Praxisübernahme sind mehrere Vertragsebenen relevant:

  • Kaufvertrag (§§ 433 ff. BGB) über Einrichtung, Patientenkartei und Geräte,

  • Mietvertrag (§ 566 BGB) über Praxisräume,

  • Arbeitsverträge (§ 613a BGB) für medizinische Fachangestellte,

  • Kooperationsverträge mit Laboren und Abrechnungsstellen,

  • Datenschutzvereinbarungen nach DSGVO.

Die Übergabe muss so gestaltet sein, dass Patientenakten und Einwilligungen datenschutzkonform übertragen werden.


6. Ablauf der Praxisübernahme

Ein strukturierter Ablauf minimiert Risiken und sichert Patiententreue:

  1. Vorverhandlungen & Absichtserklärung (Letter of Intent),

  2. Prüfung der Praxisdaten (Due Diligence),

  3. Bewertung und Finanzierungszusage,

  4. Zustimmung des Zulassungsausschusses,

  5. Vertragsunterzeichnung & Übergabe.

Tipp: Eine Übergabephase von 3–6 Monaten sichert den Wissenstransfer und die Patientenbindung optimal.


7. Steuerliche und haftungsrechtliche Aspekte

Beim Arztpraxis kaufen sind steuerliche und haftungsrechtliche Fragen entscheidend.
Wichtig:

  • Haftung für Altverbindlichkeiten (§ 25 HGB analog) ausschließen,

  • Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 UStG prüfen,

  • Praxiswertabschreibung steuerlich korrekt planen,

  • Berufshaftpflicht aktualisieren (Mindestdeckung 1 Mio. €).

Empfohlen ist die Begleitung durch einen Fachanwalt für Medizinrecht und einen Steuerberater mit Branchenerfahrung.


8. Integration und Praxisführung

Nach der Übernahme gilt es, die Patientenbeziehungen zu festigen und das Praxisteam einzubinden.
Empfohlene Maßnahmen:

  • gemeinsames Anschreiben an Patienten,

  • Einführung moderner Praxissoftware,

  • digitales Termin- und Abrechnungssystem,

  • Ausbau von Zusatzleistungen (IGeL, Telemedizin).

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Juristische Schlussbewertung

Eine Arztpraxis kaufen bedeutet, rechtliche, medizinische und betriebswirtschaftliche Dimensionen zu vereinen.
Nur wer Kassensitz, Unternehmensbewertung und Investition von Kapital sorgfältig abstimmt, kann den Praxisbetrieb erfolgreich fortführen.
Eine klare Vertragsstruktur, transparente Finanzierung und professionelle Übergabe sichern den nachhaltigen Erfolg.


FAQ 

1. Welche Voraussetzungen gelten beim Kauf einer Arztpraxis?
Zulassung durch die KV, Übertragung des Kassensitzes, Kaufvertrag und ärztliche Approbation.

2. Wie wird der Wert einer Arztpraxis ermittelt?
Über Unternehmensbewertung mit Ertragswertverfahren und Goodwill-Berechnung.

3. Wie teuer ist der Kauf einer Arztpraxis?
Je nach Fachrichtung 150.000 €–800.000 €, abhängig von Ausstattung und Patientenstamm.

4. Wie funktioniert die Kassensitz-Übertragung?
Über Nachbesetzungsverfahren nach § 103 Abs. 4 SGB V mit Zustimmung der KV.

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