Wer eine Kanzlei übernehmen möchte, steht vor einem hochsensiblen Prozess, bei dem rechtliche, wirtschaftliche und persönliche Faktoren ineinandergreifen.
Anders als bei klassischen Geschäftsübernahmen geht es hier nicht nur um Büroausstattung oder Personal – sondern vor allem um Mandate, Vertrauen und Berufshaftung.
Damit eine Investition von Kapital in eine Kanzlei nachhaltig Ertrag bringt, müssen Übertragungsverträge, Mandatsvereinbarungen und Haftung präzise geregelt werden.
1. Ausgangslage: Nachfolge im Kanzleiwesen
In Deutschland stehen laut BRAK und DStV bis 2030 mehr als 10.000 Kanzleien vor der Nachfolge.
Der Generationswechsel betrifft insbesondere Einzelkanzleien und kleine Sozietäten.
Eine Kanzlei übernehmen bietet daher attraktive Chancen, wenn:
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ein stabiler Mandantenstamm vorhanden ist,
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die Rechtsgebiete oder Steuersegmente zukunftsfähig sind,
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die Kanzleiorganisation modern geführt wird,
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Haftungs- und Versicherungsfragen frühzeitig geklärt sind.
Mandantenvertrauen und Kontinuität sind die zentralen Erfolgsfaktoren jeder Übergabe.
2. Unternehmensbewertung und Ertragswert einer Kanzlei
Die Unternehmensbewertung einer Kanzlei unterscheidet sich von klassischen M&A-Transaktionen.
Da immaterielle Werte wie Mandantenstamm und Reputation entscheidend sind, wird häufig das modifizierte Ertragswertverfahren angewandt.
Bewertungsparameter:
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durchschnittlicher Jahresüberschuss (3-Jahres-Schnitt),
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Mandantenbindung und Wiederbeauftragungsrate,
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Spezialisierungsgrad (z. B. Steuerrecht, Arbeitsrecht, M&A),
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Standort und Wettbewerb,
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Personalstruktur (angestellte Berufsträger, Fachangestellte).
Der Ertragswert ergibt sich aus den nachhaltig erzielbaren Gewinnen abzüglich kalkulatorischer Inhabervergütung und Risikozuschlag.
Erfahrene Kanzleiberater oder Steuerexperten sollten die Bewertung begleiten.
3. Rechtliche Grundlagen und Zulassungspflichten
Eine Kanzlei übernehmen erfordert neben zivilrechtlichen Verträgen die Beachtung berufsrechtlicher Regelungen:
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§§ 59c–59o BRAO (Rechtsanwaltsgesellschaften),
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§§ 34 ff. StBerG (Steuerberatergesetz),
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§ 2 WPO (Wirtschaftsprüferordnung),
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Berufsrechtliche Genehmigungspflichten der Kammern,
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Berufshaftpflichtversicherung nach § 51 BRAO oder § 67 StBerG.
Der Erwerber muss über die erforderliche Berufszulassung verfügen; andernfalls kann die Übertragung untersagt werden.
Zudem gilt: Der Erwerb einer Sozietät setzt Zustimmung aller Partner voraus (§ 705 BGB).
4. Mandatsübertragung und Datenschutz
Der sensibelste Teil bei der Kanzleiübernahme ist die Mandatsübertragung.
Nach § 203 StGB unterliegt jedes Mandat der Schweigepflicht.
Eine automatische Übertragung von Mandatsverträgen ist daher unzulässig.
Erforderlich ist:
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Einwilligung jedes Mandanten in die Mandatsfortführung,
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schriftliche Neubeauftragung des Nachfolgers,
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Datenschutzkonforme Datenübertragung nach DSGVO,
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Aktualisierung der Vollmachten und Aktenverzeichnisse.
Eine Checkliste zur Mandatsübertragung sollte fester Bestandteil des Übernahmevertrags sein.
5. Haftungsfragen und Risikoabsicherung
Haftung ist der Kernpunkt jeder Kanzleiübernahme.
Die häufigsten Risiken liegen in Altmandaten, Beratungsfehlern und unklarer Versicherungsdeckung.
Pflichten des Erwerbers:
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Prüfung der bestehenden Berufshaftpflicht,
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Regelung der Nachhaftung (§ 51 BRAO, § 67 StBerG),
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Vereinbarung von Freistellungen bei Altmandaten,
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Übernahme nur bei klar abgegrenztem Mandatsbestand.
Zur Vermeidung von Rückstellungen für Altlasten empfiehlt sich eine Haftungsbegrenzungsklausel oder der Abschluss einer separaten Nachhaftungsversicherung.
6. Investition von Kapital & Finanzierung
Die Investition von Kapital für eine Kanzleiübernahme liegt je nach Größe zwischen 150.000 € und 1 Mio. €.
Typische Finanzierungsmodelle:
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Bankdarlehen mit Sicherungsabtretung der Honorarforderungen,
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Verkäuferdarlehen (§ 488 BGB) bei gleitender Übergabe,
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Beteiligung über Partnerschaftsgesellschaft (§ 8 PartGG),
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Förderprogramme (KfW-Nachfolge 153 oder ERP-Gründerkredit 380).
Wichtig ist eine Rentabilitätsplanung, die fixe Personalkosten, Umsatzsteuer-Risiken und Rücklagen für Haftpflichtbeiträge berücksichtigt.
7. Übergabeprozess und Nachfolgeplanung
Der ideale Übergabezeitraum beträgt 12–18 Monate.
In dieser Phase sollten Mandanten eingeführt, Abläufe dokumentiert und Personal geschult werden.
Empfehlenswert sind:
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gemeinsamer Auftritt von Alt- und Neuinhaber,
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Mandantenanschreiben mit Einverständniserklärung,
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Schulung in Kanzleisoftware und Datenarchivierung,
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Anpassung von Miet- und Leasingverträgen.
Die Kanzleistruktur sollte digitalisiert, revisionssicher und skalierbar aufgebaut sein.
8. Integration & Zukunftssicherung
Nach Abschluss der Geschäftsübernahme ist das Ziel, bestehende Mandate zu stabilisieren und neue Mandate zu gewinnen.
Strategische Maßnahmen:
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Einführung moderner Cloud-Systeme und eAkte,
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Ausbau von Spezialisierungen (z. B. IT- oder Erbrecht),
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Mitarbeiterbindung durch flexible Arbeitszeitmodelle,
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Digitalisierung von Buchhaltungs- und Kommunikationsprozessen.
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Juristische Schlussbewertung
Eine Kanzlei übernehmen verlangt höchste Sorgfalt in rechtlicher, finanzieller und organisatorischer Hinsicht.
Nur wer Mandatsübertragung, Haftungsfragen und Berufshaftpflicht vollständig prüft, kann Haftungsrisiken minimieren und Mandantenvertrauen sichern.
Eine strukturierte Nachfolgeplanung und enge Abstimmung mit Kammern, Versicherern und M&A-Beratern sind die Basis für eine erfolgreiche Kanzleifortführung.
FAQ
1. Was ist bei der Übernahme einer Kanzlei zu beachten?
Zulassungspflichten, Mandatsübertragung mit Einwilligung, Haftungsabsicherung und Nachfolgeplanung.
2. Wie bewertet man den Wert einer Kanzlei?
Über Unternehmensbewertung nach modifiziertem Ertragswertverfahren unter Einbezug des Mandantenstamms.
3. Welche Kosten entstehen bei der Kanzleiübernahme?
Kaufpreis, Notar, Berufshaftpflicht, Software-Migration und Übergabehonorare.
4. Wie kann man Mandate rechtssicher übertragen?
Nur mit schriftlicher Zustimmung der Mandanten und datenschutzkonformer Aktenübertragung (§ 203 StGB, DSGVO).